Mir kann man glauben, wenn ich sage, dass mein Pferd in dieser und jener Situation brav ist. Ich beschönige nix, ich sage auch, dass satteln nun jetzt nichts mit brav zu tun hat und er mindestens so guckt, als würde er einem auf dem Nachhauseweg auflauern. Manchmal kommt auch ein Huf drohend in die Nähe der eigenen Beine (er zieht aber nicht durch). Das geht schon noch in Ordnung. Ist das augestanden, verdient mein Pferd das Prädikat brav. Egal wo.

Aber das möchte mir einfach nicht jeder glauben (außer meinem Stallbesitzer, der ist der einzige, der das auch so sieht). Denn mein Pferd macht vor allem viel Gesichtstheater, gefletschte Zähne, wildes Kopfwedeln, stampfen oder stehenbleiben sind seine Art sich auszudrücken, wenn ihm was nicht passt. Und die Ohren kann er auch gut anlegen. Er ist aber mehr wie ein Hund der kläfft, noch nie hat er irgendwen gebissen oder getreten.

Leute, die mit ihm Umgang haben, wollen das aber irgendwie nicht glauben, vor allem wenn sie „neu“ sind. Da wird dann auch mal losgelassen auf dem Weg zur Weide (weil er augenrollend und zähnefletschend trotzdem lieb Schritt nebenher geht – aber natürlich viel lieber losdüsen würde). War nicht zu halten! Höre ich dann schon mal öfter. Oder im Gelände: Ich musste absteigen, der wollte steigen. Bestimmt! Sah so aus. Dass mein Pferd noch nie mit Reiter gestiegen ist, brauche ich nicht zu erwähnen, ich glaube solche Sachen auch nicht. Ich kenne doch mein Arschlochpferd, der hat viel zu viel Schiss mit Reiter zu steigen, nachher fällt er um. Und dann?
Aber nicht nur im Gelände, auch auf dem Reitplatz klammern sich manche ängstlich an die Mähne, denn er guckt ja. Was es hier gibt, was es da gibt … Entschuldigung, mein Pferd ist halt nicht scheintot!

Anderen Leuten glaube ich prinzipiell erst mal die Aussage: Ist lieb, wenn ich mich draufschwinge. In zwei Fällen glaube ich es nicht:

1) Wenn meine Reitlehrerin sagt: „Das Pferd ist total lieb, hab’s gestern auch geritten, so toll, das musst du mal probieren!“

2) und: wenn im Rennstall jemand sagt: „Voll lieb, das pullt nur ein bisschen.“

Zu 1) Wenn meine Reitlehrerin so etwas von sich gibt, passiert garantiert folgendes Szenario: Man fällt runter. Und nicht irgendwie, nein es ist spektakulär! Handstandüberschlagspektakulär!

Zu 2) Es ist eine dreckige Lüge und wir wissen es alle (und verkaufen das Pferd dem nächsten Arbeitsreiter auch als „voll lieb“). Nach einer halben Bahn hat man lange Arme und nach der ganzen Bahn Probleme mit anhalten. Hat man davor sich ausgepowert geht man dann die Extrarunde – mit Tränen in den Augen vom Fahrtwind und erlahmten Armen und brüllt Verwünschungen in die Mähne des Pferdes, die (sofern man es aufnehmen würde) eine Indizierung des Filmmaterials rechtfertigen würden.

Andere Leute verkaufen ihr Pferd dann als Killer, aber haben eigentlich ein lammfrommes Dingen unterm Sattel. Aber brav setzen viele mit scheintot gleich. Frage mich, was die machen würden, wenn sie mal den Schimmeligen reiten müssten … oder die Irre. Oder den Todesstern. Was sind die dann? Killerkiller? Einfach verdoppelt? Keiner weiß es.

Eine realistische Einschätzung des Pferdes vermögen jedenfalls nicht sonderlich viele, das sieht man immer dann, wenn man mal draufsitzt. Fein zu reiten? Na, wenn Panzerfahren plötzlich feines fahren ist, dann vielleicht. Lieb? Lieb heißt gerne = kann gar nichts. Aber das sehr lieb.
Ich bin mittlerweile vorsichtig mit dem Prädikat brav. Ich sage mittlerweile nur noch: Hat noch nie einen Reiter verloren (jedenfalls nicht bei mir). Das muss reichen. Denn brav scheint er ja nicht zu sein, wenn ich mir die anderen Leute und ihre „braven“ Pferde ansehe.