Gerade wenn man in einer größeren Stallgemeinschaft steht, kennt man diesen Effekt: Einer ruft den Tierarzt, weil irgendetwas akut ist, fünf stehen drumherum und wissen alles besser, spielen scheinbar miteinander Scharade, denn sie brüllen ein paar Begrifflichkeiten in den Raum und hoffen, dass irgendeine ihrer Diagnosen mit der des Tierarzts übereinstimmt.
Die andere Gruppe will nur mal gucken und Fragen stellen. Weil ihr Pferd ja auch etwas hat. Nix Schlimmes. Aber wenn der gerade schon mal da ist?
Kurios wird es, wenn man ein Notfall ist und solche Leute sich dazwischen drängeln, denn eine Kolik kann doch nicht so akut sein, wie ein kleiner Ratsch im Bein, der nicht dick ist, nicht blutet und eigentlich auch keinem auffällt. Da kann das Tier mit Kolik ja wohl gefälligst warten. Dreist haben sie dann schon ihr Pferd aus der Box geholt und parken es gleich in Sichtweite des Tierarzts.
Bezahlen wollen sie das natürlich nicht. Der hat doch nur geschaut und war eh schon da. Gucken kostet nichts.
Wenn man dann endlich mal mit seinem Notfall an der Reihe ist (man hat ja nicht aus Spaß den Tierarzt gerufen), ist die erste Gruppe dann wieder am Zug (aber sie diagnostiziert natürlich auch am vorherigen Pferd herum).
„Kolik“, tuscheln sie. Hui! Clever, alle zusammen. Hätte der Tierarzt ohne die gar nicht herausgefunden.
Sagen aber auch „Klinik.“ Der Tierarzt überhört das Gebabbel, guckt, horcht, behandelt und stellt fest – leichte Kolik, keine OP nötig, Buscopan, ab dafür.
Da sind die sensationslüsternen Hühner ja schon fast enttäuscht, zu gerne hätten die nachher umerzählt: „Boah, habt ihr schon gehört? Der Dark Shadow Raven of Fire ist in der Klinik. Sieht nicht gut aus.“ Da schweben sie dann dahin, mit einem Lächeln, weil sie die Sensationslust der anderen befriedigen konnten.
Neu dazugekommene Einsteller müssen aufgeklärt werden. Ist gerade keiner der Gaffer greifbar, oder sind sie zu beschäftigt, gilt es als äußerst höflich, Tierarzt und Besitzer des kranken Pferdes zu unterbrechen und zu fragen: „Oh, Gott, was ist denn passiert?“ Da freuen sich alle Beteiligten drüber.
Ist die Diagnose ernst, folgt betretenes Schweigen. Und Getuschel außer Hörweite. Warum das Pferd wohl eine SO schlimme Kolik hat. Schlechtes Futter! Ja bestimmt. Und gestern nicht lang genug trocken geritten. Man munkelt auch von Leckerlies oder Gift auf der Weide. Rasend verbreitet sich das Gerücht von Gift auf der Weide, vorsichtshalber entfernt schon mal die Hälfte aller Gaffer den harmlosen Löwenzahn, weil er gelb ist und untersucht die Weide akribisch auf Rattengift und andere Giftquellen.
Dabei wird eine Eichel gefunden. Liegt am Rand der Weide – auch gar nicht da, wo das erkrankte Pferd steht. Vergiftung durch Eicheln. Liest man ja immer wieder.
Panisch wollen sie dem Tierarzt die Eichel präsentieren, aber der ist ja schon vom Hof gefahren. Und das erkrankte Pferd auch. Schnell noch der Besitzerin eine dramatische SMS schreiben, damit der Tierarzt ja das Richtige tut.
„Dein Pferd hat EICHELN gefressen. Auf der Weide sind ganz viele.“
Zum Glück hört die Besitzerin nicht auf diesen Unsinn. Hat vor lauter Hektik das Handy im Stall vergessen. Was gut ist. Pferd kommt am nächsten Tag erholt wieder aus der Klinik und muss sich noch etwas schonen. Und das trotz Vergiftung – was die Plaudertaschen ein wenig kriminell finden. Und gleich noch einmal tuscheln. Nachdem sie einen Facebook Aufruf über die Gefahr von Eicheln verfasst haben.
Foto: Hat auch schon mal eine Eichel gefressen. Und schon einmal Kolik. Ob das zusammenhängt?