Der Reiter ist eine Summe an Dingen. Vor allem ist er die Summe aller reiterlichen Dinge, die ihn in seinem Leben berührt haben. Das ist wichtig, denn das sollten wir uns vor Augen halten. Jeder Reiter, mit dem wir in Kontakt kommen, wird eventuell die Chance ergreifen, etwas abzugucken. Und ich finde, wir sollten doch wohl den bestmöglichsten Eindruck mitbringen, damit er sich das Richtige abguckt. Vor allem, wenn Kinder in unserer Reichweite sind. Und dabei meine ich jetzt nicht, dass man nicht Arschloch zum Pferd sagen soll, wenn ein Kind daneben steht. Glaubt mir, die kennen eh VIEL schlimmere Sachen.

Ich zum Beispiel bin ein Produkt vieler Dinge. Allen voran natürlich das meiner Reitlehrerin. Von Kindesbeinen an war ich also schon mal an ein reiterliches Vorbild angeknüpft. Da ich ja keine reitende Verwandtschaft habe. Meist ist das der erste Punkt. Und sofern man einen guten Reitlehrer hat, wächst hier potenziell auch erst mal ein guter Reiter heran. Denn das Kind hat erst mal nur den Reitlehrer im Kopf.
Dann ist man aber häufiger im Stall. Und da ist diese eine coole Jugendliche, die immer total spektakuläre Sachen macht. Hey, vielleicht muss man das auch mal machen? Hier kann bereits der erste Schritt in die Richtung: „Alles scheiße“ gelegt werden. Je nachdem, wen das Kind sich zum Vorbild nimmt. Aber auch wer sich seiner annimmt. Wem guckt es zu, was darf es im Stall mitmachen, all das prägt später sein Reitverhalten.

Ich war da nicht ganz so launisch. Meine Reitlehrerin war halt meine Reitlehrerin und was die sagt ist Gesetz. Irgendwann im fortgeschrittenen Stadium bekam ich auch mal Unterricht von einer anderen … nichts habe ich mir mitgenommen. Gar nichts. Eigentlich war die nur launisch und fies. Habe also als Teeny beschlossen – von der möchte ich nichts. Immerhin ist mir der Fingerabdruck erspart geblieben.
Da war dann diese Privatpferdereiterin. Ich bezweifle, dass sie wusste wie ich heiße, was ich mache, oder sonst was. Aber ich sah ihr öfter in der Halle zu. Mehrere Stunden. Und ich fand: Die hat die Ruhe weg. Die ist immer total unaufgeregt mit dem Pferd.
Sie hat also gar nicht gemerkt, dass sie ihren Fingerabdruck hinterlassen hat, aber noch heute, nach X Jahren denke ich ab und zu an die Frau und atme tief durch: Nene, wir wollen alle schön ruhig bleiben.

Dann kam mein Trainer. Auch der hatte neue Ansätze für mich parat, wovon ich auf jeden Fall etwas mitnehmen konnte. Allen voran beim Thema Mut. Aber auch: Lerne deine Grenzen kennen. Aber Trainer war auch nicht immer zwingend das, wo ich mir was mitgenommen habe – auch andere Arbeitsreiter oder Jockeys. Manche haben mich bewusst was gelehrt („So, heute erkläre ich dir mal was“) – oder eben auch nicht.

Denn der Reiter guckt ständig. Manchmal sogar nur virtuell, oder im Fernsehen. Aber er lernt ständig, selbst wenn er das nicht will. Manche Sachen machen für ihn am Ende keinen Sinn mehr und er wischt den Fingerabdruck des anderen Reiters ab. Andere wiederum, die nimmt er mit und trägt sie sein Leben lang. Manchmal sind das nur harmlose Ticks, manchmal essenzielle reiterliche Dinge. So wie ich niemals mehr von rechts die Hufe auskratze, sondern alles über links mache. Oder eben, dass ich ums verrecken niemals mehr schwer einsitze, wenn das Pferd abschießt (macht man mit Rennpferden halt nur einmal, dann weiß man auch warum).
Ständig fließen neue Einflüsse auf uns zu. Die meisten lassen wir ungefiltert durchlaufen, die anderen nicht. Manchmal bleiben sie unbewusst, manchmal sagen wir: „Das finde ich klasse, das muss ich auch probieren.“

Und damit will ich nicht sagen, wir sollten uns ständig auf dem Prüfstand empfinden und immer nur tolle Sachen machen müssen. Nein, wir sollten nur überlegen, ob wir mit dem, was wir gerade tun, einen Fingerabdruck auf einem anderen Reiter hinterlassen. Und ob es ein guter ist, der ihm weiterhilft (ja, manchmal ist auch Kritik ein guter Fingerabdruck) oder ob der halt einfach vorher in Scheiße getunkt war und wir uns nur die Finger an einem Reiter abwischen wollten.

Foto: Samson aus der Sesamstraße