So ziemlich jeder Stall hat ihn: Den Weisen. Manchmal gibt es mehrere, manchmal nur einen. Jeder kennt ihn. Er (oder sie) ist das Pferd, das so ziemlich jedem alles beibringen kann. Meist ist der Weise schon älter. Er hat alles gesehen und er kann auch alles. Und er wird es liebend gerne teilen.
So weiß ich ziemlich sicher, dass bei mir im Stall alle Kinder meines Jahrgangs auf einem fluffigen Braunen das galoppieren und die Sicherheit fürs Reiten gelernt haben. Außer ich, ich weiß bis heute nicht ganz genau, warum ausgerechnet ich das 1,84 Schleudertrauma reiten musste …

Der fluffig Braune war einfach lieb. Der nahm nichts krumm, da konnte man seine ersten Versuche die Bügel überzuschlagen machen und ansonsten wirklich etwas lernen. Übrigens auch, dass man die Gerte nur zu Dekozwecken mitnimmt. Ich bin Achtkant runtergefallen, als ich ihn aus Versehen mal damit touchiert habe.
So hatten also alle Kinder irgendwie den fluffigen Braunen. Oder vielmehr – alle Reitanfänger. Denn jeder konnte von ihm lernen. Irgendwann entwächst man dem fluffigen Braunen jedoch. Es ist auch nicht mehr so cool dieses Pferd zu reiten. Der ist ja immer nett. Alle Fortgeschrittenen reiten viel anspruchsvollere Schulpferde. Und da möchte man ja schließlich auch hin. Man möchte auch Fortgeschritten sein.

So kehrt man dem Weisen meist freudestrahlend den Rücken. Und er ist Weise … also weiß er auch, dass man selbst das nur tut, weil man weiterkommen will. Er nimmt es nicht krumm. Der Weise behandelt alle Reiter mit dem gleichen Einfühlungsvermögen. Er wird, falls man ihn doch noch mal reitet, immer noch so nett und lieb und bemüht sein, wie er es zuvor war.

Auch in den Fortgeschrittenenreitstunden gibt es dann meist einen Weisen. Oder einen Langweiligen, wenn man nach der Meinung der Reitschüler geht. Der macht ja nie was. Ist immer nur nett und hilft wo er kann. Bei uns in Form eines ehemaligen S-Pferdes, das ebenfalls fluffig braun war. Nur eben eine Stute. Und sie war so nett. Wann immer sie den Reiter nicht wirklich verstand, packte sie irgendetwas aus. Könntest du Mitteltrab gemeint haben? Ja, doch, mache ich mal.
Aber irgendwie sind die Schüler plötzlich auf dem Stand, dass sie nicht mehr nur das Nette wollen. Sie möchten arbeiten. Sie möchten auch mal scheitern, sie möchten verstehen. Es ist schwer, auf einem Weisen zu lernen und dann mit der Realität konfrontiert zu werden: Es macht nicht jedes Pferd einfach so alles was ich will. Ich muss an mir selbst arbeiten, damit Hilfen präzise werden und ein korrekt ausgebildetes Pferd mich verstehen kann. Und sie möchten auch lernen, dass ein Pferd nicht immer automatisch kooperativ ist. Dass man sie überzeugen muss. Oder auch mal mit Widersetzlichkeit kämpfen kann.

Dementsprechend hat der Weise es schwer. Als Kind ist er noch das Lieblingspferd. Aber so richtig zusammen wächst man mit ihm nicht. Denn es geht bald weiter, in der nächsten Stufe. Meist wächst man nämlich durch harte Arbeit zusammen. So bleibt der Weise zurück. Und weil er eben so weise ist, kümmert er sich immer um den Reiter, der ihn gerade reitet. Damit der zufrieden ist.
Oft hört man ja auch von Leuten, die ein Schulpferd kaufen. Aber es ist nie der Weise, der später Privatpferd wird. Der Weise ist meist da, bis er 25 ist und keine Reitstunden mehr mitläuft. Oft kriegt er sein Gnadenbrot dann im Stall und viele Reiter kommen an seiner Weide vorbei, um ihn mal zu streicheln und in Erinnerungen zu schwelgen. „Ach, war das schön. Auf dem hab ich galoppieren gelernt.“
Danach geht das Leben weiter. Es warten größere Herausforderungen. So denkt jedenfalls der Reiter. Dass sie dort niemals hingekommen wären, wenn es den Weisen nicht gäbe – das sehen sie nicht. Und so vergessen sie ihn auch irgendwann.

Es sind immer die Pferde, die eine Herausforderung darstellen, an denen wir wachsen, und die uns im Gedächtnis bleiben. So unglaublich selten sind es die, denen wir zu verdanken haben, dass wir überhaupt wachsen konnten.

Foto: Nicht weise. Nichtmal besonders helle.